tl;dr: Die venoarterielle CO2 - Partialdruckdifferenz (CO2-Lücke) ist ein einfach messbarer Parameter, der Hinweise zur aktuellen Gewebeperfusion geben kann. Eine CO2-Lücke >6mmHg kann eine verminderte Gewebeperfusion bei Volumenmangellage anzeigen. Die CO2-Lücke ist damit ein weiterer Parameter, der bei der zielgerichteten Volumentherapie zum Einsatz kommen kann.
“Volumen oder kein Volumen, das ist hier die Frage.” Und mit Sicherheit eine der häufigsten Fragen, die man sich in der Intensivmedizin stellt, denn die Volumengabe, oder eben der Verzicht auf diese, steht täglich für jeden Patienten auf dem Plan. Wir wollen Euvolämie erreichen und letztendlich eine ausreichende Gewebeperfusion.
Um sich dem Volumenstatus des kritisch kranken Patienten anzunähern, gibt es unzählige Möglichkeiten, die einen mit mehr, die anderen mit weniger Evidenz belegt. Bei meiner Recherche, wie ich meine Praxis verbessern kann, bin ich dabei über folgendes Review gestolpert und möchte die dort vorgestelle CO2 – Lücke kurz als weiteren Pfeil im Köcher vorstellen.
“Understanding the carbon dioxide gaps” Scheeren et al. 2018; DOI: 10.1097/MCC.0000000000000493
Understanding the carbon dioxide gaps – PubMed (nih.gov)
Am Anfang die absoluten Basics. Wenn dir alles klar ist, einfach überspringen.
Basics 1: Das Fick’sche Prinzip
Ziel unserer Volumentherapie ist ein ausreichendes Herzminutenvolumen (HMV) um die Gewebeperfusion sicherzustellen. Bereits 1870 teilte Adolf Fick das nach ihm benannte Prinzip zur Abschätzung des HMV mit der Welt.
HMV = Sauerstoffaufnahme der Lunge / arteriovenöse Sauerstoffkonzentrationsdifferenz.
Kleines Beispiel zur Veranschaulichung. Die Sauerstoffaufnahme der Lunge liegt in Ruhe bei etwa 0,3l/min, die arterielle Sauerstoffkonzentration bei 0,2l/l Blut und die gemischtvenöse Sauerstoffkonzentration bei 0,15l/lBlut.
HMV = 0,3 l/min / (0,2-0,15) = 6 l/min
Alternativ kann zur Abschätzung des HMV auch die Thermodilution oder eben für uns interessant die CO2-Konzentration herangezogen werden. Das nennt man dann indirektes Fick’sches Prinzip.
HMV = CO2-Produktion / venoarterielle CO2 Partialdruckdifferenz
Basics 2: O2-Transport und CO2-Transport
Es gibt zwei Wege für den O2 – Transport in unserem Körper
- physikalisch gelöst
- an Hämoglobin gebunden
Es gibt drei Wege für den CO2 – Transport in unserem Körper
- physikalisch gelöst
- an Hämoglobin gebunden
- in Form von Bikarbonat
Dabei ist die physikalische Löslichkeit von CO2 ungefähr 20 mal größer als die von O2. Damit die restlichen Transportwege zielgerichtet von statten gehen, gibt es mehrere Mechanismen in unserem Körper.
Der Bohr-Effekt beschreibt die sich verändernde Sauerstoffbindungsaffinität des Hämoglobins je nach pH der Umgebung. Bei Azidose und hohem CO2-Partialdruck sinkt die Affinität, bei Alkalose und niedrigem CO2-Partialdruck steigt sie.
Der Haldane-Effekt drückt quasi das Gleiche nur für CO2 aus. Bei hohem O2-Partialdruck sinkt die CO2-Affinität des Hämoglobins, bei niedrigem O2-Partialdruck steigt sie.
Beim Hamburger-Shift wird in den Erythrozyten intrazelluläres HCO3– gegen CL– über einen Antiporter ausgetauscht. Das HCO3– entsteht dabei vorher aus einer durch die Carboanhydrase katalysierte Reaktion im Zytoplasma.
CO2 + H20 ⇌ H2CO3 ⇌ HCO3- + H+
In der Peripherie fällt mehr CO2 an, das Gleichgewicht verschiebt sich automatisch nach rechts, es wird mehr HCO3– gebildet, welches quasi unbegrenzt im Plasma transportabel ist. In der Lunge passiert genau das Umgekehrte.
Über das Blut kann so ca. die 2,5 mal so viel CO2 transportiert werden als O2.
Die CO2-Lücke in der Praxis
Unter normalen Umständen beträgt die venoarterielle CO2 – Partialdruckdifferenz (CO2-Lücke) 2 bis 5 mmHg. Bei kritisch kranken Patient, beispielsweise im septischen Schock, kann diese Lücke deutlich größer sein, was uns einen Hinweis auf eine Gewebshypoperfusion geben kann. Auf Grund der besseren Löslichkeit und Transportfähigkeit von CO2 im Blut, ist selbst in minderperfundierten Geweben damit zu rechnen, dass CO2 in die venöse Ausflussbahn gelangt. Wenn wir von einer konstanten CO2-Produktion im Körper ausgehen, können wir über das indirekte Fick’sche Prinzip anhand der CO2-Lücke das HMV abschätzen. Je größer der Wert, umso kleiner das HMV.
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass septische Patienten mit einer initial niedrigen CO2-Lücke oder einer niedrigeren CO2-Lücke nach Therapie eine geringere 28-Tage-Mortalität zeigten. Als Zielwert scheint eine CO2-Lücke ≤ 6mmHg geeignet. Dieser Cut-Off war bei diesen Patienten auch eine geeignete Methode, um die zielgerichtete Volumentherapie zu monitoren und schließlich ein ausreichendes HMV zu erreichen.
Wie bereits oben geschrieben, sollte die CO2-Lücke nicht als alleiniges Tool eingesetzt werden, aber gemeinsam mit anderen Parametern, wie beispielsweise der zentralvenösen Sättigung, Blutdruck, Laktat, POCUS, etc., kann sie uns wertvolle Hinweise geben. Zudem ist sie leicht zu bestimmen, denn die entsprechenden BGA sind ohnehin bereits gemacht.